Der Formel 1 Phantomschmerz

Der Formel 1 Phantomschmerz

Kein Grand Prix in Deutschland – Nicht nur die Fans sind enttäuscht

Ende Juli mussten die deutschen Formel 1 Fans sehr tapfer sein, so fand auch 2023 am traditionellen Termin des Grand Prix von Deutschland kein Rennen im Heimatland von Michael Schumacher statt. Jahrzehntelang konnten die Fans ihre Urlaube so planen, dass sie an diesem Wochenende frei für die Formel 1 am Nürburgring oder in Hockenheim waren. Seit 2019, als das letzte Mal ein GP Deutschland in Hockenheim ausgetragen wurde, haben die Fans Ende Juli Phantomschmerzen, denn seither macht die Formel 1 einen großen Bogen um Deutschland.

Wie konnte es dazu kommen? Der GP Deutschland war seit den 1950er Jahren, also seit Beginn der Formel1, fester Bestandteil der Weltmeisterschaft. Die legendären Kämpfe auf dem Nürburgring und seit den 1970er Jahren die Windschatten-Schlachten auf dem Hockenheimring haben die Fans begeistert. In den vergangenen Jahren hat sich über der deutschen Formel 1 ein Sturm zusammengebraut: Zu Zeiten von Michael Schumacher waren bis zu sieben deutsche Formel 1 Rennfahrer (!) am Start. TV-Sender RTL, der 30 Jahre lang die Formel 1 im Free-TV übertrug, zählte bis zu 15 Millionen Zuschauer, die jedes Rennen verfolgten. Am Montag waren die F1-Rennen fast regelmäßig das Thema Nr.1 in Büros und Arbeitsplätzen. Auch als Michael Schumacher aufhörte, sah es für die Formel 1 in Deutschland eigentlich noch gut aus, mit Sebastian Vettel war längst ein würdiger Nachfolger aufgebaut worden. Immerhin gewann Vettel von 2010 bis 2013 insgesamt vier WM-Titel (!) nacheinander.

Aber die Zahlen waren trügerisch. Sebastian Vettel faszinierte die Fans lange nicht so sehr wie sein Vorbild Michael Schumacher. Und auch sein Red-Bull-Team war alles andere als beliebt. Das erkannte auch Vettel und erfüllte sich ab 2015 seinen Jugendtraum, für Ferrari zu fahren. Aber das „Projekt“ WM-Titel mit Ferrari hat nicht funktioniert.

Gegen das Mercedes-Team von Lewis Hamilton und Nico Rosberg (danach Valtteri Bottas) blieb Vettel von 2015 bis 2020 chancenlos.
 
Parallel dazu gingen die Zuschauerquoten in Deutschland sowohl im TV als auch bei den Rennen zurück. Und die geforderten Antrittsgelder der neuen Formel 1 Eigentümer stiegen von Jahr zu Jahr, weil an neuen Austragungsorten im mittleren Osten höhere Gebühren bezahlt werden. Für Länder wie Bahrain, Abu Dhabi, Saudi Arabien oder Katar ist ein Grand Prix ein staatlich gefördertes Prestigeobjekt. Während Ex-Formel-1-Chef Bernie Ecclestone für seine langjährigen Geschäftspartner in Deutschland Verständnis zeigte und mit ihnen Preise immer an der Schmerzgrenze vereinbarte, zog mit den neuen Eigentümern ab 2018 ein neuer Business Stil ein. Die Preise stiegen in Bereiche, die für privatwirtschaftliche Rennstrecken wie den Hockenheimring nicht mehr zu stemmen waren.  

Hockenheim-Geschäftsführer Jorn Teske: „Die Preise liegen mittlerweile im zweistelligen Millionenbereich. Das können wir als Rennstrecke durch den Ticketverkauf, der unsere einzige Einnahmequelle wäre, nicht finanzieren.“ Eine Lösung wäre nach Meinung von Teske „wenn finanzkräftige Partner ebenfalls ein Interesse daran haben, die Formel 1 nach Deutschland zurück zu bringen. Das Risiko muss auf verschiedene Schultern verteilt wird. Es kann nicht sein, dass alle an der Formel 1 verdienen, nur die Rennstrecke macht ein Minus.“
 
Wer könnten diese Partner sein? Solange die deutschen Automobil-Hersteller Audi und Porsche für 2026 den Einstieg in die Formel1 planten, schien die Sache klar: Der Volkswagen-Konzern würde dafür sorgen, dass in der VW-Heimat ein Rennen veranstaltet werden würde. Diese Chancen sind mittlerweile stark gefallen, so wird nur Audi ab 2026 in die F1-Weltmeisterschaft einsteigen. Die Porsche-Pläne eines Joint-Ventures mit dem erfolgreichen Red Bull Team haben sich vor einigen Monaten zerschlagen. Ab 2026 geht Red Bull mit US-Konzern Ford an den Start.
Der Count-Down für den Audi-Einstieg läuft längst. Ende 2023 soll der erste komplette Prototyp des Audi-F1-Motors auf dem Prüfstand laufen und in Hinwil, dem Standort des Sauber-Teams in der Schweiz, das Audi übernimmt, laufen die Expansionspläne ebenfalls auf Hochtouren. Der neue Sauber-CEO Andreas Seidl hält sich aus dem Tagesgeschäft heraus und kümmert sich um die dringend notwendigen Erweiterungspläne. Derzeit arbeiten rund 500 Mitarbeiter in Hinwil. Um auf Augenhöhe mit den großen Werksteams zu kommen, müssen in den kommenden Jahren mindestens 300 weitere Mitarbeiter eingestellt werden. 2026 scheint noch weit weg zu sein, aber es sind nur noch 30 Monate – und die sind in der Formel-1-Welt alles andere als eine Ewigkeit.

Ein Rettungsanker für die Formel 1 in Deutschland sind wohl deutsche Fahrer. Fast alle Helden aus den Jahren 2010 bis 2020 sind mittlerweile in „F1-Rente“. Timo Glock kommentiert genau wie Ralf Schumacher oder Nico Rosberg für Sky/PayTV – RTL hat angesichts der ins unermessliche gestiegenen TV-Gebühren längst die Segel gestrichen.

Mick Schumacher fuhr 2022 im Haas F1 Team

Der einzige Nachwuchsfahrer mit Formel 1 Qualitäten ist Mick Schumacher. Hat er 2021 und 2022 bei Haas einen guten Job gemacht? Sein Teamchef Günther Steiner war offenbar nicht der Meinung und ersetzte Mick Ende 2022 durch den erfahrenen Nico Hülkenberg. Der mit 35 Jahren kurz vor der F1-Rente stehenden Deutsche, dem aufstrebenden Mick Schumacher den Vorzug zu geben, war eine mutige Entscheidung, die sich aber ausgezahlt hat.
 
„Hulk“ hat 2023 performt und er bügelt seinen ebenfalls erfahrenen Haas-Teamkollegen Magnussen, mit dem Mick Schumacher im Vorjahr so große Probleme hatte. Hintergrund: Das derzeitige Reglement ohne Testfahrten zwingt die Teams dazu auf erfahrene Fahrer zurückgreifen. Jungen Fahrern eine Chance zu geben, kann unter dem Budget-Cap ein großes Risiko ein – die Teams dürfen pro Jahr nur eine gewisse Summe ausgeben, 2023 spricht man von etwa 150 Millionen Dollar. Jeder Unfallschaden muss innerhalb des Budget-Caps beglichen werden. Totalschäden wie sie Mick Schumacher 2022 produzierte fehlen dann für die Weiterentwicklung des Wagens.


 
Nico Hülkenbergs Vertragsverlängerung für 2024 scheint offenbar nur noch Formsache zu sein. Günther Steiner und Teambesitzer Gene Haas gehen kein Risiko mehr ein. Die Konsequenz: Der Jugendwahn in der Formel1 ist gestoppt. Es kann sich kein Team mehr leisten, Nachwuchsfahrern eine Chance zu geben, unter dem jetzigen Reglement ist kein Platz mehr für Fehler. Wer nicht performt, wird aussortiert. Jetzt erwischt es nach dem GP England 2023 auch Nyck de Vries, der nach nur zehn erfolglosen Rennen für Alpha Tauri die rote Karte erhielt. Konsequenz: Er wurde durch den erfahrenen Daniel Ricciardo ersetzt.

Nico Hülkenberg fährt 2023 im Haas F1 Team

Aus Deutschland kommen keine Impulse, neue Fahrer aufzubauen. Ralf Schumacher schätzt, dass man mindestens 15 Millionen Euro benötigt, um eine Fahrerkarriere vom Kart über F4, F3 und F2 zu finanzieren. Eine unvorstellbare Summe, die zumindest in Deutschland nicht mehr aufzutreiben ist. Deshalb steht es um den Nachwuchs in Deutschland derzeit auch so schlecht. Kennen Sie einen deutschen Namen auf dem Weg nach oben? Neben Mick Schumacher war David Beckmann derjenige, dem man am ehesten eine erfolgreiche Karriere zugetraut hätte. Mittlerweile ist nur noch Mick Schumacher übrig.

Lewis Hamilton und Mick Schumacher fahren im Mercedes AMG Petronas F1 Team

Stefano Domenicali , der CEO der Formel 1 hat zwar erkannt, dass Deutschland ein wichtiger traditioneller Austragungsort der Formel 1 Weltmeisterschaft ist. Aber eine belastbare Aussage, wann wieder ein GP von Deutschland veranstaltet wird, mag auch Domenicali nicht geben. Eine mögliche und immer wieder diskutierte Lösung wäre es, einen GP Deutschland jährlich abwechselnd mit dem GP Belgien zu veranstalten. Aber da ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. Deshalb scheint derzeit Mick Schumacher die letzte Hoffnung zu sein, in den kommenden fünf Jahren einen deutschen Fahrer in der Formel 1 zu sehen. Nico Hülkenberg ist zwar derjenige, der in der Formel1 seinen Job macht und der immer für Punkte gut ist, aber eigentlich muss der junge Mann aus dem Rheinland mit dem berühmten Namen und dem legendären Vater unterstützt werden. Mercedes-Benz hat Mick Schumacher nach dem Rauswurf bei Haas aufgefangen. Die Frage ist, was 2024 mit ihm passiert: Setzt Audi auf Mick und bringt ihn bei Sauber unter? Gibt es eine Chance bei Williams oder bei Alpha Tauri? Das Pokerspiel um die Zukunft Mick Schumachers ist auch ein Pokerspiel um die Zukunft der Formel 1 in Deutschland – und der Ausgang ist derzeit völlig offen.