„Das Konzept wurde weiter verfeinert“

„Das Konzept wurde weiter verfeinert“

DIE AUTOSEITEN:

Herr Kulla, wie definieren Sie das Design eines Sportwagens?

Matthias Kulla:

Ein Sportwagen ist ein Fahrzeug, das durch seine besondere Funktionalität definiert wird. Das ist mir wichtig hervorzuheben, weil Viele denken, ein Sportwagen müsse vor allem emotional aussehen. Natürlich muss er Emotionen wecken, aber er rückt zunächst das sportliche Fahren in den Mittelpunkt. Und das macht er sichtbar.

Ein Beispiel. Bei einem Sportwagen sind typische Merkmale einer Limousine – wie beispielsweise die Innenraumgröße – nicht oberste Priorität. Stattdessen hat er eine fahrerorientierte tiefe Sitzposition und einen kompakten Innenraum. Das ermöglicht eine flache, abfallende Dachlinie, die für einen Sportwagen typisch ist, und es ergeben sich automatisch andere Proportionen als bei einem Familienauto. Alleine über diese Funktionalität wird ein Sportwagen bereits als emotionales Produkt wahrgenommen.

DIE AUTOSEITEN:

Der 911er ist der Porsche schlechthin, der Ur-Porsche. Wie sehen Sie aus Sicht des Designers die DNA eines 911er?

Matthias Kulla:

Über alle Generationen betrachtet ist die DNA beim Porsche 911 deshalb so stark, weil er seinen Ursprung nie verleugnet hat und von der ersten bis zur aktuellen 8. Generation in einem evolutionären Prozess kontinuierlich, aber behutsam weiter entwickelt wurde. Der „rote Faden“ ist nie gerissen, sondern dadurch immer stärker geworden ist.

Die Einzigartigkeit des 911 beruht zunächst einmal auf dem Heckmotorkonzept. Damit rücken die Hinterräder weiter nach vorne, der Radstand wird kürzer, und der hintere Karosserieüberhang länger. Ein 911 hat eine unverwechselbare Silhouette. Sie visualisiert den kurzen Radstand über die stark abfallende Dachlinie und einen sehr niedrigen Heckabschluss.

Kennzeichnend für den 911 sind darüber hinaus spezifische Gestaltungsmerkmale, die in unserer Design-DNA eine wichtige Rolle spielen, wie zum Beispiel die stark betonten vorderen Kotflügel, die höher sind als die Haube, und die relativ steilstehenden runden Scheinwerfer. Die schlanken Türflächen in Verbindung mit muskulösen Kotflügeln sorgen für eine eindrucksvolle Taillierung Und ganz typisch ist die Seitenfenstergrafik, die von der ersten bis zur heutigen Generation immer weiter verfeinert wurde.

DIE AUTOSEITEN:

Sie haben es sehr schön beschrieben, die Grundform eines 911er. Ich stelle es mir als Laie sehr schwierig vor, wenn Sie als Designer immer wieder einen neuen 911er kreieren…

Matthias Kulla:

Die Konzeption des 911 drückt ebenso wie die Grundform eine zurückhaltende Eleganz aus und ist deswegen in den 60ern genauso zuhause wie in den 70ern, 80ern – und heute. Die Tatsache, dass sie keinen modischen Schnickschnack aufweist, sondern vielmehr durch Purismus eine gewisse Strenge ausdrückt, macht den 911 sehr zeitlos. Er verkörpert ganz eigene Tugenden, die alle Generationen des Elfers auszeichnet: Klarheit und formale Eindeutigkeit, markentypische, evolutionär weiterentwickelte Gestaltungsmerkmale und innovative formale und funktionale Ideen. Der 911 ist zweifellos der Kern unserer Marke. Und damit hat alles, was wir am 911 gestalten, eine Bedeutung für unsere anderen Baureihen.

Aber Sie haben es sehr richtig formuliert. Es ist tatsächlich eine Herausforderung, sich immer wieder aufs Neue zu überlegen, wie viel ich verändern darf – nein, verändern muss – um den Neuigkeitswert herzustellen, und wann ich den Bogen überspannt und damit die 911er Genetik möglicherweise verloren habe. Das ist wirklich ein Balanceakt, der eine besondere Aufgabe darstellt, aber deswegen auch unheimlich viel Spaß macht.

DIE AUTOSEITEN:

Jetzt stehen wir vor der Markteinführung der neuen Generation Porsche 911 Targa. Der Targa ist neben dem Coupé und dem Cabriolet ein fester Bestandteil der 911-Modellpalette. Wie sind Sie als Designer an die Arbeit rangegangen, um die Verbindung zwischen dem Modernen und dem Ursprung von 1965 beibehalten zu können?

Matthias Kulla:

Wer die Historie des Targa anschaut, stellt fest, dass es im seinem Lebenslauf mehrere Zensuren gab. 1965 wurde er erstmals präsentiert und ging 1967 in Produktion. Das Besondere an diesem Auto war die Tatsache, dass Porsche den Überrollbügel nicht versteckt, sondern zu einem markenprägenden Designfeature entwickelt hat. Ein notwendiges Sicherheits-Feature wurde damit bewusst visualisiert. Dieses Konzept ist bis heute einzigartig.

Der Targa wurde bis zum Ende der Modellreihe 964 im Jahr 1994 in seiner Urform mit aufrechtem Bügel und der charakteristischen Heckscheibe unverändert gebaut. Dann kam die erste der angesprochenen Zensuren, denn mittlerweile wurde klar: die Bedienung des  Daches war in dieser Form nicht mehr akzeptabel. Ein neues, kundenfreundlicheres Konzept musste gefunden werden.

Mit dem 993 hat Porsche daraufhin eine völlig andere Targa-Idee vorgestellt, die an die Studie Panamericana aus dem Jahr 1990 angelehnt war. Können Sie sich an das Show-Car erinnern? Von der Einzigartigkeit der ursprünglichen Lösung war indessen etwas verloren gegangen – er ähnelte eher einem Coupé. Trotz aller Kritik aus den Reihen der alten Targa-Fans war der neue Targa aber sehr erfolgreich und in punkto Funktionalität seinen Vorgängern haushoch überlegen.

Das Konzept wurde über die Jahre immer weiter verfeinert und blieb bis zur Generation 997 erhalten. Dennoch blieb als Wehrmutstropfen die Ähnlichkeit zum Coupé bestehen. Deshalb war unser nächstes Ziel, dem Targa die Einzigartigkeit des Urmodell zurückzugeben. Und genau das haben wir mit dem 991 Targa umgesetzt. Wir haben schnell festgestellt, dass das ursprüngliche Konzept ganz fantastisch zu einem modernen Elfer passt. Und tatsächlich wird der Targa in den Augen Vieler als das attraktivste Derivat von allen angesehen!

DIE AUTOSEITEN:

Ich denke mal, da war die Schwierigkeit, einerseits die Form, das Ursprüngliche des alten Targa wieder heraus zu arbeiten, zu gestalten und andererseits den Nutzwert für den Kunden herauszustellen. Dass man das Targa-Dach nicht öffnen muss….

Matthias Kulla:

Ganz genau. Uns kam zugute, dass in der Zwischenzeit präzise vollautomatisierte Dachsysteme möglich wurden, womit die schwierige Handhabung der früheren Dächer Geschichte war. Die gestalterische Herausforderung bestand jedoch darin, dass das Design des 991 eigentlich schon fertig war. Die Frage war also: passt das „alte“ Targa-Konzept überhaupt? Passt es optisch, und lässt es sich vom Platzbedarf her integrieren? Wie wir aber heute wissen, hat es sehr gut funktioniert.

DIE AUTOSEITEN:

Von den drei 911-Varianten Coupé, Cabriolet und Targa – ist der Targa das Modell, das letztendlich das Schwierigste ist, zu kreieren? Erst entstand das 911 Coupé und dann der 911 Targa oder ist der Entwicklungsvorgang im Design völlig losgelöst?

Matthias Kulla:

Grundsätzlich ist der Targa fester Bestandteil jeder neuen 911-Baureihe. Wenn wir in der Phase der Formfindung sind, berücksichtigen wir gleichzeitig die Anforderungen aller Karosserie-Varianten. Dass er am schwierigsten ist, kann ich eigentlich nicht bestätigen. Das Coupé ist für uns zweifellos die gestalterische Null-Linie. In der Umsetzung komplexer halte ich das Cabrio aufgrund der Randbedingungen für das Stoffdach. Der Targa hingegen passt einfach auf Anhieb.

DIE AUTOSEITEN:

Wenn man Sie hört, würde ich vielleicht sagen, dass der Targa besonders viel Spaß macht….

Matthias Kulla:

Ja, das kann man durchaus! Man beginnt mit der Arbeit an und freut sich schon bald, wie gut er aussieht.

Aber lassen Sie uns zum aktuellen Targa kommen, und da möchte ich zunächst über das Design des 992 sprechen. Der Schritt vom 991 zum 992 ist wie immer grundsätzlich evolutionär. Auf der anderen Seite sind die Veränderungen aber durchaus nicht subtil, sondern sehr deutlich wahrnehmbar.

Im Vergleich zum Vorgänger ist er ein strafferes, härteres Auto geworden, mit noch stärker betonten Rädern und Kotflügeln, die fast an die Dominanz eines Turbo heran kommen. Vorne und hinten sehen wir starke grafische Elemente ohne Verspieltheit. Und jetzt stellt sich die Frage, wie gut das neue Design und das Targamodul zusammen passen.

Aus unserer Sicht passt es ganz hervorragend. Das klar strukturierte Formthema des 992 geht mit dem Targadach eine perfekte Symbiose ein, und gleichzeitig bilden die Eleganz des Daches und die Muskulosität des 992 einen spannenden Kontrast.

DIE AUTOSEITEN:

Welches Stilmittel ist beim 911 Targa für Sie besonders wichtig? Was muss einfach auf dem Punkt passen, wo Sie sagen, das ist ein 911 Targa?

Matthias Kulla:

Entscheidend ist die Positionierung des Bügels. Über die Jahrzehnte hat der Radstand des 911 um fast 20 Zentimeter zugelegt, und das wirkt sich auf die Proportionen aus. Vor allem die Position des Bügels relativ zum Hinterrad hat sich dadurch stark verändert: das Hinterrad stand früher deutlich weiter vorn, fast unter dem Bügel. Diese Problematik galt es zu lösen.

Mir persönlich gefällt der 992 Targa ausgesprochen gut – das Auto strahlt eine klassische Eleganz aus und besitzt durch die kraftvolle Formensprache des 992 gleichzeitig eine gewisse Bulligkeit.

DIE AUTOSEITEN:

Ja, die Proportionen sind sehr gelungen. Muss beim Targa der Bügel immer silber und das Dach schwarz sein? Ist das ein Stilelement?

Matthias Kulla:

Der Targa-Bügel ist in der Serie silber, und damit zitieren wir ganz bewusst die ursprüngliche Optik der ersten Serien. Er wurde später aber schwarz, nachdem beim G-Modell alle vormals verchromten Blenden schwarz eloxiert wurden. Vorbild war der berühmte Chronometer von FA Porsche, der mit seiner mattschwarzen Optik wegweisend war.

Natürlich haben wir uns schon bald gefragt, wie ein schwarzer Bügel wohl beim neuen Targa wirkt. Die Geschmäcker gehen hier auseinander, aber aus meiner Sicht ist es die sportlichere Variante. Weil er weniger prominent ist, integriert er sich besser und betont den Fluss des Daches. Hätte ich einen Targa, wäre der Bügel schwarz!

DIE AUTOSEITEN:

Herr Kulla, Sie sind für das Design aller Baureihen im Sportwagenbereich zuständig. Ist die Arbeit für Sie beim 911er stets was Besonderes?

Matthias Kulla:

Das muss ich ein bisschen erklären. Ich bin heute Design-Projektleiter für die Sportwagen, und da lege ich nicht mehr selbst Hand an. Für etliche Jahre war ich Studioleiter für den 911 Carrera und hatte später die Verantwortung für alle Exterieurs, aber Sie treffen den Nagel da schon auf den Kopf. Der 911er ist mein liebstes Kind, das sage ich ganz offen. Er macht besonderen Spaß.